Im Jahr 1926 veröffentlichte der britische Astrophysiker Arthur Stanley Eddington als erster die Hypothese, dass die Energieerzeugung in Sternen durch die Verschmelzung oder Fusion leichter Atomkerne, insbesondere des Wasserstoffs erfolgt. Wissenschaftler in der ganzen Welt träumen seitdem davon, diese Vorgänge direkt für uns nutzbar zu machen, also mit einem Fusionsreaktor Energie zu gewinnen. Der erste dieser Mechanismen wurde schon 1937 von den deutschen Wissenschaftlern Hans Bethe und Carl-Friedrich von Weizsäcker entdeckt, weitere Erkenntnisse folgten wenige Jahre später.
Die sowjetischen Wissenschaftler Andrei Sakharov und Igor Tamm legten 1950 den Entwurf für einen solchen Fusionsreaktor vor, bei dem das heiße ionisierte Wasserstoffgas (das Plasma) durch komplizierte Magnetfelder eingeschlossen wird. Das Konzept erhielt den Namen Tokamak und wird auch heute noch als aussichtsreich verfolgt, beispielsweise ist auch der im Bau befindliche Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor ITER ein Tokamak. Ein alternatives Konzept mit magnetischem Einschluss ist der so genannte Stellarator, der 1951 vom US-amerikanischen Physiker Lyman Spitzer vorgeschlagen wurde. Führend in der Stellaratorforschung ist das deutsche Max Planck-Institut für Plasmaphysik IPP in Greifswald mit dem seit 2014 im Betrieb befindlichen Stellarator Wendelstein 7-X.
Neben diesen Ansätzen verfolgen insbesondere US-amerikanische Wissenschaftler im Lawrence Livermore Laboratory seit den 1970er Jahren das Modell der Trägheitsfusion. Dabei wird eine kleine Kugel aus gefrorenem Wasserstoff von so intensiven Lasern bestrahlt, dass darin Schockwellen entstehen und Fusionsreaktionen auslösen. Hier gelang im Dezember 2022 in der National Ignition Facility ein spektakulärer Durchbruch, weil erstmals mehr Energie gewonnen werden konnte, als durch die Laser hineingesteckt wurde. Zwar ist das Gesamtsystem nach wie vor nicht zur Energieproduktion geeignet, weil der Betrieb der Laser noch etwa 100 Mal mehr Energie benötigt. Allerdings ist innerhalb von zwei Jahren eine Steigerung der erzeugten Energie um einen Faktor 50 gelungen, das Ziel scheint also in Reichweite zu sein.
Die Geschichte der Fusionsforschung mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihren politischen und ideologischen Aspekten ist eigentlich ganz spannend, doch stellen sich nach mehr als 70 Jahren Forschung und etlichen Milliarden Euro Kosten zwei zentrale Fragen:
Warum haben wir immer noch keinen Fusionsreaktor?
Werden wir irgendwann die Kernfusion haben, oder ist das nur ein Milliardengrab?
Beide Arten der Fusion erfordern immense Anfangsinvestitionen – sagen wir 100 Milliarden Euro, um ein funktionsfähiges Fusionskraftwerk nach einem dieser Prinzipien zu bauen. Das wäre zwar ineffizient, würde viele Kompromisse enthalten und sicher auch nicht zum industriellen Standard taugen, aber es würde mit hoher Wahrscheinlichkeit funktionieren. Diese Summe, seit 2022 als „ein Wumms“ bekannt, übersteigt aber die Möglichkeiten eines einzelnen Unternehmens, einer noch so entschlossenen Einzelperson und der meisten Staaten. Und die immerhin bestehende Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlages sorgt dafür, dass sich die politischen Entscheider nicht trauen, diese Investition einfach in einem Schritt zu vollziehen – dafür war der wirtschaftliche Druck bisher einfach nicht groß genug.
Stattdessen wird der Bau eines Fusionsreaktors seit Jahrzehnten als „Spitzenforschung“ deklariert und dementsprechend aus den Forschungsetats der Industriestaaten finanziert. Und damit haben wir ein gewaltiges Problem. Denn die so genannte Spitzenforschung arbeitet immer mit kleinen Budgets – kaum einmal werden für ein Einzelthema mehr als ein paar Millionen Euro ausgegeben. Und Forschungsgelder für diese Art der Forschung werden auf Basis von „Ausschreibungen“ vergeben, auf die sich oftmals mehr als 100 Forschungskonsortien bewerben und „wettbewerblich“ um die Gunst von mächtigen Gutachtergremien buhlen. Selbstverständlich erwartet man nahezu überall, dass diese Konsortien sich auch selbst verwalten und managen. Größere Anlagen werden dann oft durch mehrere Einzelstaaten gemeinsam finanziert – und selbstverständlich führt das dazu, dass diese Anlagen dann noch größer und komplizierter werden, als für begrenzte Ziele nötig. Heraus kommen dabei „Projekte“ wie der oben erwähnte Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor ITER, an dem 35 Nationen seit 1985 planen und im französischen Cadarache bauen.
ITER ist insofern ein gutes Beispiel für diese Art der Forschungsförderung, als die Selbstverwaltung des Konsortiums durch wissenschaftlich geprägte Personen zu katastrophalen Fehlern bei der Projektsteuerung führte, die zu erheblichen Verzögerungen beigetragen haben. Wie zu erwarten war, stiegen die Kosten auch durch diese Fehler von geplanten 5 Milliarden Euro auf inzwischen 20 Milliarden. Der Kostendruck und die immer neuen Kompromisse führten zur Reduzierung und zum Aufschub der gesteckten Ziele. Bis vor kurzem rechnete man damit, etwa 2025 das erste Mal ein Plasma erzeugen zu können, und geplant war für 2030 das Erreichen eines zumindest theoretisch Energie liefernden Zustandes. Im März 2022 wurde in einer Anhörung vor dem Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlamentes jedoch eingeräumt, dass dies nicht einmal bis 2035 zu schaffen sei. Interne Querelen und nachträgliche Änderungen am Design lassen ITER nicht in gutem Licht erscheinen: Zu groß, zu komplex und im Vergleich zu den Ergebnissen zu teuer wird das Gerät niemals die Hoffnung auf einen Durchbruch bei der Energieerzeugung erfüllen können.
Ein Whistleblower und eine französische Sicherheitsbehörde machen dem Fusionsreaktor ITER das Leben schwer.
Speicher, C.: ITER – der Bau des Fusionsreaktors verzögert sich erneut, Neue Zürcher Zeitung vom 4.3.2022
Die Antwort auf die erste Frage ist also: Wir haben deshalb noch keinen Fusionsreaktor, weil die notwendigen Anfangsinvestitionen für überdimensionierte staatlich geförderte Projekte zu zaghaft, zu wenig zielgerichtet und immer unter dem Label der „Spitzenforschung“ betrieben worden sind.
Dabei wäre ein anderer Zugang durchaus möglich, wie die USA zweimal in der Geschichte gezeigt haben: Eine mutige und zielgerichtete Investition in vollkommen unerprobte Technologien kann durchaus erfolgreich sein. Einmal geschah dies im Rahmen des Manhattan-Projektes, in dem ab 1941 innerhalb von weiger vier Jahren die ersten Nuklearwaffen entwickelt wurden (siehe Abschnitt „Der Weg zur Bombe“ im Buch Wider die Angst). Bei der Erprobung der ersten Kernwaffe schwankten die Prognosen der beteiligten Wissenschaftler zwischen „sie wird gar nicht explodieren“ und „sie wird die ganze Atmosphäre in Brand stecken“. Die entwickelten Waffensysteme waren vollkommen ineffizient und geradezu primitiv – aber sie haben funktioniert.
Zum zweiten Mal geschah dies bei der Mondlandung: Am 12. September 1962 hielt der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy an der Rice University eine Rede, in der er die Mondlandung noch innerhalb desselben Jahrzehnts ankündigte.
We choose to go to the moon. We choose to go to the moon in this decade and do the other things, not because they are easy, but because they are hard, because that goal will serve to organize and measure the best of our energies and skills, because that challenge is one that we are willing to accept, one we are unwilling to postpone, and one which we intend to win, and the others, too.
Wir haben uns entschlossen, zum Mond zu fliegen. Wir haben uns entschlossen, in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen und noch andere Dinge zu unternehmen, nicht weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist, weil das Ziel dazu dient, das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten zu organisieren und zu messen, weil die Herausforderung eine ist, der wir uns stellen wollen, die wir nicht verschieben wollen und die wir zu gewinnen beabsichtigen, genau wie die anderen auch.
Kennedy, J.F.: Address at Rice University on the Nation’s Space Effort, 12. September 1962
Auch die Apollo-Missionen zum Mond waren technologisch geradezu primitiv. Erst danach setzte sich bei der NASA derselbe Geist der „sicheren und planbaren Forschung“ durch, den ich oben kritisiert habe – mit dem Ergebnis, dass 50 Jahre lang kein Mensch mehr auf dem Mond gewesen ist (siehe dazu den Beitrag 50 Jahre ohne Mondlandung)
Wie wir aus dieser Geschichte sehen, hat aber gerade die Bereitschaft der Verantwortlichen, über den eigenen Schatten zu springen, das Risiko zu suchen und Dinge „zu machen“ in beiden Fällen den Erfolg gebracht. Seitdem werden solche technisch-wissenschaftlichen Wagnisse als Moonshot bezeichnet – und ja: Mit einem solchen Moonshot eines Staates könnten wir innerhalb weniger Jahre Fusionsreaktoren haben.
Möglicherweise dürfen wir dabei aber nicht auf die staatliche Forschungsförderung setzen. Verschiedene Unternehmen der Privatwirtschaft haben sich des Problems angenommen und versuchen, die laserbasierte Trägheitsfusion ebenso wie die magnetischen Einschlussverfahren auf kleinere Systeme herunterzuskalieren. Damit wären die notwendigen Investitionen sehr viel geringer, viel wichtiger aber noch: Die Bauzeit würde von Jahrzehnten (wie bei ITER) auf wenige Jahre schrumpfen können.
Die Antwort auf die zweite Frage ist also: Mit etwas Mut und Zuversicht könnten wir schon 2030 Kernfusion haben – entweder mit einem echten Moonshot, oder durch privatwirtschaftliches Engagement. Der wirtschaftliche Druck dafür wird größer.